Bockiges Kleinkind - wie man es NICHT machen sollte!
Heute morgen im Flugzeug hatte ich eine dieser Erfahrungen im Stil “mitreisendes Kleinkind im Radius von einem Meter” - jeder kann seiner Fantasie dazu freien Lauf lassen 🤣, weil wohl jeder das schon erlebt hat, sei es mit den eigenen, oder mit fremden Kindern.
Natürlich war es weder das erste, noch - hoffe ich doch - das letzte Reiseerlebnis dieser Art. Auch meine eigenen Kinder sind mit uns schon als Babys regelmässig geflogen, und haben v.a. im Kleinkinalter Nerven strapaziert - meine Nerven, und die der anderen Passagiere.
Was mir aber heute zu denken gegeben hat, waren weniger die Aktionen der kleinen Terroristin (von 15 Minuten Ruhe als sie mal kurz eingenickt ist, bis hin zum Brüllen, Schreien und Treten gab es das ganze Repertoire), sondern vielmehr die Reaktionen der Eltern.
Heute habe ich also gehört
1. Lügen, dass sich die Balken biegen
Aus dem Gedächtnis habe ich eine Auswahl getroffen und jeder kann seinen Favoriten wählen:
“Du bist jetzt doch schon ein grosses Mädchen!” (Wahrheit: sie ist etwa 3 Jahre alt)
“Wenn Du Dich so benimmst, wird das die Oma ganz traurig machen!” (Wahrheit: tatsächlich freut sich Oma so sehr über den Besuch ihrer Enkeltochter und es ist nicht ihre Sache, ob die Kleine das halbe Flugzeug umkrempelt)
“Sei still, sonst wird der Pilot ärgerlich und dann müssen wir aussteigen!” (Mein klarer Favorit!)
“Siehst Du die Frau? (gemeint war die Flight Attendant) Wenn Du so weitermachst, gibt sie uns nichts zu essen und dann kriegst Du Hunger!” (Wahrheit: sowohl das Essen ist angekommen, als auch der Orangensaft, das Kinderspielzeug und die Schoggi zum Schluss)
“Die Tante (gemeint war ich) ist müde und Du tust ihr weh!” (Wahrheit: weder war ich müde, noch waren die Tritte in die Rückenlehne schmerzhaft - es war zwar alles sehr mühsam, ABER was der Vater sagte war Quatsch und die Kleine hatte TOTAL auf Durchzug geschaltet!)
“Das war das letzte Mal! Wir fahren nie mehr zur Oma, fertig!” (mein innerlicher Kommentar: Keine weiteren Fragen, Euer Ehren…)
Es gab noch mehr solche Kracher, aber diese sind bei mir hängen geblieben.
2. Drohungen
“Schluss jetzt! Wenn Du jetzt nicht aufhörst, dann kannst Du zu Hause was erleben!” (Keine Ahnung, ob das eine leere Drohung war, die Kleine zeigte jedenfalls kein Interesse)
“Sitz jetzt still, sonst nehme ich Dir das iPad weg!” (Wie sich im Laufe des Fluges gezeigt hat, WAR das eine leere Drohung und der Kleinen war es total schnurz!)
“Hör jetzt auf zu weinen, sonst bringe ich Dich nicht zu …!” (An den Namen kann ich mich nicht erinnern, beeindruckt hat es sie aber auch nicht)
“Sei mal endlich lieb! NIEMAND mag Dich, wenn Du so bös bist!” (Totale Gleichgültigkeit - ob man so etwas als Kind vergisst, ist leider eine andere Frage.)
3. Sinnlose Fragen und Vergleiche mit anderen Kindern
“Warum machst Du mich so traurig?” (Könnte eine 3jährige jemals diese Frage beantworten?)
“Musst Du immer so sein?”
“Schau mal das Kind da drüben, das sitzt ganz ruhig!” (Das “Kind da drüben” war bereits im Schulalter)
“Kannst Du mir erklären, warum Du so blöd tun musst?”
“Wieso willst Du jetzt aufstehen? Hast Du nicht gehört, dass wir angeschnallt bleiben müssen, bis das Flugzeug gestartet ist?”
4. Anflehen
“Willst ein bisschen Saft trinken? Kuck mal, ich trinke auch - mmmmh, der schmeckt lecker.”
“Schau mal, wie hübsch die Frau angezogen ist, ist das Kleid nicht schön, die rote Farbe ist soooo schön!” (aus dem Duty Free Magazin der Airline)
“Kannst Du bitte damit aufhören?”
“Bitte hör auf mit dem ….!!!”
“Aber tu doch bitte nicht so!”
und viel mehr Solches….
Lange Rede, kurzer Sinn - all diese “Massnahmen” hatten am Verhalten des kleinen Mädchens so gut wie keinen Einfluss. Sogar den Papa hat sie geschlagen und getreten, worauf er nur mit der Frage reagiert hat “Aber warum machst haust Du mich, das macht mir weh!”.
FRAGE:
Hätten diese Eltern überhaupt eine Chance gehabt, diese Situation zu verhindern?
Meiner Meinung nach, nicht wirklich.
Sie schienen sich schon 100% an dieses Verhalten gewöhnt zu haben (das eigene und das ihrer Tochter). Kurzfristig gesehen war das also ein festgefahrener Zustand, den die Eltern mit ihrer Tochter in vielen anderen Situationen ähnlich erleben.
Für die Mitpassagiere wäre es vielleicht hilfreich gewesen, wenn die Eltern in diesem Moment gesagt hätten: “Es tut uns wirklich leid, aber auf Reisen ist sie immer so schwierig und wir wissen nicht, wie wir sie zähmen können!” (Ich höre schon die entrüsteten Gedanken der Leser, die sagen: “Zähmen? Reden wir von einem Kind oder von einem Hund?”)
Aber am Ende geht es doch darum, in einer schwierigen Situation die Grenzen aufzuzeigen.
Auf anderen Flügen, habe ich die gleiche Situation schon anders erlebt. Besonders ein Langzeit-Flug ist mir in Erinnerung geblieben, auf dem die Mutter sich von Anfang an an die Mitreisenden gewendet und ihnen die schwierige Situation erklärt hat.
Die meisten fanden es sehr sympathisch, dass der Mutter bewusst anerkannt hat, was die Mitpassagiere mit ihrem kleinen Taliban auszustehen hatten. Zwei Sitze weiter sass ein Herr, der mit seinem bewundernswerten Einfallsreichtum den Kleinen tatsächlich einige Zeit mit Geschichten und viel Gelächter beschäftigt hat. So wurde es ein unerwartet angenehmer Flug für alle.
Viele mag das erzürnen und die Frage aufwerfen, ob ich überhaupt Kinder mag. Schließlich sind “Kinder einfach so” und “sie müssen sich frei ausdrücken können” und es “ist diskriminierend gegen Kinder”.
Ich habe den Kindern mein professionelles Leben gewidmet. Alle die mich kennen können bezeugen, dass ich Kinder SEHR liebe und daher fühle ich mich frei genug, meine Meinung zu äussern und damit vielleicht auch anzuecken:
War das wirklich die Art des kleinen Mädchens, sich auszudrücken? Sie hat sich sowohl gelangweilt und hörte von ihren Eltern nur Lügen, Drohungen und diverse rhetorische Fragen.
Die nötige Reife, all das zu verstehen und adäquat zu reagieren, hatte dieses Mädchen nicht. Definitiv hatte sie keinen Spass an der Flugreise, gemessen daran, dass sie 85% der Flugzeit geschrien und getreten hat und etwa einen Gesichtsausdruck wie im Bild hatte (ist natürlich ein Beispielbild).
Also glücklich… war sie nicht.
Klar haben Kinder Spass, wenn sie am Herumtollen sind, aber dann haben sie ganz einen anderen Gesichtsausdruck. Dieses Mädchen hatte keinen Spass. Es ging ihr nicht gut, sie wusste nicht, was sie wollte und fühlte sich meiner Meinung nach nicht sicher. Ich nehme an, dass sie sehr stark die Hilflosigkeit, Ungeduld und Verzweiflung ihrer Eltern gespürt hat, und spiegelte diese wider.
Das mit der Verzweiflung ist mein Eindruck gewesen, wahrscheinlich aber wärst Du meiner Meinung, wenn Du neben mir gesessen hättest und den abwechselnden Drohungen und Bitten beigewohnt hättest, die an einer Mauer von Gleichgültigkeit abprallten.
Müssen Eltern jegliches Verhalten ihrer Kinder akzeptieren und wie ein Punchingball agieren, nur weil “Kinder eben Kinder sind”?
Und noch eine provokante Frage, hier geht es um den Begriff “Kind”: ist ein Neugeborenes gleichzustellen mit einem Kind von 17 Monaten, 3 Jahren, 8 oder 15 Jahren? Das sind ja schliesslich auch “Kinder”.
In welchem Alter sollte ein Kind “gross genug” sein, damit Mitreisende kein …Valium brauchen?
Hilft grenzenlose Toleranz dem Kind? Hilft sie den Eltern? Hilft sie irgendjemandem?
Meine Antwort
Ich denke, in diesem speziellen Fall war die “Schlacht” schon verloren, bevor sie begonnen hatte.
Es war eine perfekte Geiselsituation (der Pilot hat sie natürlich trotz Drohung der Eltern nicht mitten im Flug aussteigen lassen) und so erlebten wir alle das Ergebnis des Rezepts:
<Charakter des Kindes + bisherige Erziehung durch seine Eltern + Eltern-Kind-Beziehung>
Und da kein Mitglied der Familie sich irgendwohin zurückziehen oder aussteigen konnte, wurden alle Probleme wie unter einem Brennglas gebündelt und traten zu Tage.
Es schien so zu sein, dass in der Familie fast komplett die Struktur gefehlt hat - es sah so aus, als gäbe es gar keinen “Grössenunterschied” zwischen den Eltern und der 3jährigen, sie haben so mit ihr geredet als wäre sie mit ihnen gleichauf, oder zumindest im Jugendlichenalter. Dementsprechend kannte das Mädchen auch keine Grenzen für ihr Verhalten. Wahrscheinlich geht es bei Restaurantbesuchen, im Supermarkt, zu Besuch bei Freunden und anderswo genauso zu.
Dort sind die Eltern wahrscheinlich fast genauso verzweifelt, wie im Flugzeug.
Vielleicht hatte die Kleine auch nur einen schlechten Tag - ich weiss es nicht! Falls dieses Verhalten aber für die Eltern ungewöhnlich gewesen wäre, hätte man das wahrscheinlich aber an ihren Reaktionen gemerkt. (“Was ist denn heute los? Geht’s Dir nicht gut, hast Du irgenwo weh?” oder ähnliche Äusserungen hört man in solchen Situationen)
Wenn das alles also keine Ausnahme war und einfach den Alltag widerspiegelt, mag sich dann jemand vorstellen, wie es in der Zukunft aussehen wird?
Sicher, das Reisen wird mit den Jahren einfacher, aber es verschiebt sich einfach der Schauplatz des Machtkampfes.
Was passiert, wenn sie mit 8 oder 9 Jahren ein Handy möchte, oder teure Geschenke zu Weihnachten? Was machen die Eltern, wenn ihre Tochter mit den Lehrern in der Schule nicht gut klarkommt, sie keine Lust zum Lernen hat?
Wie reagieren sie, wenn sich ihre Tochter im Altern von 13 Jahren ins Auto eines Freundes setzt und fährt (wenn auch nur 100m auf einem Parkplatz), wenn sie in schlechte Gesellschaft gerät, anfängt zu lügen … … soll ich weitermachen?
Ich behaupte also Folgendes: wenn kein Wunder geschieht (im Sinne einer Verbesserung der Erziehungsfunktionen), dann erwarten diese Eltern in Zukunft diverse Probleme. Die Probleme werden sicherlich nicht so “in your face” sein wie während der Flugreise, beträchtlich sind sie aber.
Besonders die Energie des Jugendalters, indem sich normalerweise die Familienhierarchie auf holperige Weise abflacht, wird das ganze Ausmaß der Unzulänglichkeit in der Erziehung dieses Kindes offenbaren.
Nur damit es klar ist: Ich erwarte nicht, dass ein dreijähriges Kind wie ein Engelchen sitzt und die Bibel liest.
Sicher gibt es auch solche “Buddha”-Kinder, aber sie sind die Ausnahme. Die meisten Kinder in diesem Alter haben enorm viel Energie, Neugierde und einen natürlichen Bewegungsdrang - es sind ja keine 80jährige.
Ich vertrete aber die Meinung, dass eine stabile Beziehung zum Kind und klar etablierte Familienregeln sehr, sehr hilfreich sind. Sowohl in solchen Stress-Situationen wie die Flugreise laufen dann weniger stressig ab. So verlassen weder Kind, noch Eltern, noch Mitreisende das Flugzeug todmüde, durchgeschwitzt und seufzend. 😉
Was denkst Du dazu? Du hast sicher schon Ähnliches erlebt, oder?