Dr Kemper CH

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Brauchen Kinder Multivitamine?

Wenn Erwachsene ein Gesundheitsproblem haben, dann nehmen sie oft eine Tablette.

Diese Sozialisierung führt dazu, dass sie auch für ihre Kinder die gleiche Strategie verfolgen. Verstärkt wird dies noch durch die Werbung für vitaminangereicherte Produkte, die sich direkt an die Kinder richtet.

Es ist also nicht verwunderlich, dass ich in der Praxis häufig nach den besten Vitamin- bzw. Nahrungsergänzungsmitteln gefragt werde.

Die häufigsten Gründe für diese Anfrage sind:

  • Das Kind isst schlecht.

  • Das Kind ist ständig krank.

  • Das Kind ist relativ klein für sein Alter.

  • Das Kind kann sich nicht gut konzentrieren.

Ich möchte gerade vorwegnehmen, dass ich persönlich in diesen Fällen fast nie ein Nahrungsergänzungsmittel empfehle und dass in Studien auch kein wesentlicher Nutzen für Kinder festgestellt werden konnte.

In der Regel brauchen Kinder keine Nahrungsergänzungsmittel.

Eine einigermassen ausgewogene Ernährung, genügend Schlaf und viel Bewegung sind die besten Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung.

Es konnte nicht gezeigt werden, dass z.B.

  1. ungünstige Ernährungsgewohnheiten durch Multivitamine ausgeglichen werden könnten (sprich: der Appetit wird durch ein Multivitaminpräparat nicht angeregt) oder

  2. das Immunssystem positiv beeinflusst oder

  3. das Wachstum beschleunigt würde.

Auch wird die Hirnleistung nicht gesteigert durch eine vermehrte Zufuhr von Nährstoffen.

Was spricht gegen Nahrungsergänzung bei Kindern?

Nahrungsergänzungsmittel gelten als Lebensmittel.

Deshalb werden sie auch nicht so streng kontrolliert wie Medikamente und die Verantwortung für die genaue Angabe von Wirkstoffen, Hilfsstoffen, Dosierungen und Nebenwirkungen liegt beim Hersteller.

In der Regel wird selbst bei Gebrauch nach Packungsbeilage für Kinderverhältnisse oft zu hoch dosiert, z.B. bei Vitamin C.

Hinzu kommt folgende Tatsache: die meisten Vitamine wie z.B. Vitamin C haben eigentlich einen sauren/beissenden Eigengeschmack. Trotzdem können sie praktisch geschmacksneutral zu Gummibärchen für Kinder verarbeitet werden (ich frage mich wie das erreicht wird?). Es ist eine grosse Menge Zucker notwendig, um diese überhaupt geniessbar zu machen.

Hier stellt sich mir dann die Frage, ob das Vitamin C dann überhaupt noch wirkt bzw. ob der hohe Zuckeranteil nicht eher noch gesundheitsschädlich wirkt.

Wenn fettlösliche Vitamine die Vitamine A, E und D überdosiert werden, dann reichern sie sich im Körper an und können im ungünstigsten Fall zu Hypervitaminosen führen, die zu Übelkeit und Verdauungsstörungen oder auch Kopfschmerzen führen können.

Wir sollten unseren gesunden Kindern nicht den Eindruck vermitteln, dass sie ständig Pillen, Kapseln oder Sirup schlucken müssen, damit sie gesund bleiben.


Sollten Kinder dann überhaupt Nahrungsergängzungsmittel erhalten?

Ja, wenn es einen isolierten Mangel gibt.

Solche Mangelerscheinungen sind z.B. der Vitamin-D-Mangel besonders bei Kleinkindern oder der Eisenmangel.

Auch hier sollte nur zu Tabletten oder Sirups gegriffen werden, wenn das Mangelsyndrom nicht durch gezielte Ernährung beseitigt werden kann.

Bei Eisenmangel z.B. muss grundsätzlich die Menge der Milch drastisch reduziert werden, die das Kind bekommt. Der Verzehr von zuviel Kuhmilch reduziert nachweislich die Aufnahme von Eisen im Darm der Kinder.

Was können Eltern anstatt der Multivitaminegabe tun?

Bei Appetitlosigkeit

Wir alle sind anders, auch was unsere Vorlieben und Abneigungen betrifft beim Essen betrifft. Das beginnnt schon im Kleinkindesalter.

Kein Kind hungert absichtlich oder verweigert ewig die Nahrung.

Kinder nehmen sich das, was sie für den “Bauplan” ihres Körpers benötigen und müssen in der Regel auch nicht mit appetitanregenden Kräutern oder ähnlichem unterstützt werden.

In unseren Breiten treten bei Kindern nur selten Mangelerscheinungen auf und falls doch, dann können diese in Zusammenarbeit mit dem Kinderarzt gezielt angegangen werden.

Einen Artikel zum Thema findest Du hier.

Bei Konzentrationsproblemen

Konzentrationsprobleme können viele Ursachen haben.

Keine davon wird sich aber durch eine pauschale Gabe von Multivitaminen oder andere Nahrungserängzungsmittel lösen lassen.

Euer Kinderarzt kann untersuchen, ob z.B. die Eisenspeicher (Ferritin), das Vitamin B12 oder Vitamin D zu tief sind oder ob anderswo das Problem liegt, etwa in der Schilddrüsenfunktion.

Auch würde ich zunächst mit meinem Kind besprechen, was seiner Meinung nach das Problem ist.

Es lohnt sich immer auch darauf zu schauen, ob das Kind genügend Schlaf bekommt, ev. zuviel vor einem Bildschirm sitzt und sich ausreichend an der frischen Luft bewegt.

Danach können die Bedingungen in der Schule angeschaut werden.

Multivitamine bei vermehrter Infektanfälligkeit?

Nur (!) bei Kleinkindern, die phasenweise extremst wählerisch sind mit dem Essen, habe ich durch die Gabe eines hochqualitativen Multivitaminsaftes eine klare Besserung sehen können.

Vorsicht: fast alle Kleinkinder haben sehr wählerische Phasen. Ich meine mit obigem Satz diese, die sich monatelang praktisch nur mit Brot und Nudeln-ohne-Alles ernähren…). Sobald sie auch etwas besser gegessen haben, konnten wir den Multivitaminsaft weglassen bei gleichbleibend guter Immunität.

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, auf natürliche Art die körpereigene Abwehr zu stärken. Mehr dazu findest Du in diesem Artikel!

Bei zu langsamem Wachstum

Beim Wachstum spielen ebenfalls viele Dinge eine Rolle.

Wenn Kleinkinder sich im Vergleich zu ihren Wachstumskurven normal entwickeln, gibt es keinen Grund zur Sorge. Oft wachsen die Kinder in Schüben und bleiben dazwischen längere Zeit stabil.

Oft spielt die Genetik eine Rolle, dann sind die Erwartungen der Eltern oft überzogen, besonders wenn man sich die Körpergrösse beider Eltern anschaut.

Wenn Kinder gesund aber eher leicht sind, tendieren sie bis zur Pubertät auch etwas langamer zu wachsen als ihre gleichaltrigen Freunde, die mehr essen. Ab der Pubertät gleichen sich diese Unterschiede wieder aus, und die Gene der Familie kommen mehr zum Vorschein. (Vielleicht war auch der Vater z.B. ein sogenannter Spätzünder.)

Später muss anhand der Körpergrösse der Eltern die Zielgrösse des Kindes errechnet werden. Nur in seltenen Fällen kommt es zu so grossen Abweichungen, dass medikamentös eingegriffen werden muss.

Es ist sicherlich eine gute Idee, solche Sorgen mit Eurem Kinderarzt zu besprechen. Anhand der Wachtumskurven, der Familienverhältnisse usw. kann Euch der Kinderarzt sagen, ob das Wachstum tatsächlich nicht so läuft, wie wir Mediziner es erwarten würden und ev. weitere Untersuchungen anordnen.

Liebe Grüsse bis zum nächsten Mal! Dr. Susanna 🌷