Dr Kemper CH

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Wie bekomme ich mein Kind vom Bildschirm weg?

Mit dieser Frage steht keine Mutter und kein Vater allein da.

Sehr, sehr viele Eltern stellen sich selbst (und dann natürlich auch mir in der Praxis šŸ™‚) diese Frage. Im Grunde genommen ist es genau der gleiche Kampf, den meine Eltern mit mir und meinen Geschwistern wegen des Fernsehers hatten, oder?

Jede Generation und jede Familie findet ihre eigenen Antworten.

Bei uns in der Familie haben die folgenden Veränderungen funktioniert, vielleicht ist auch etwas für Dich dabei?

Keine Bildschirme im Kinderzimmer

Das heisst auch, dass nicht jedes Kind einen eigenen Bildschirm, also Handy oder Tablet/Computer ā€œbesitztā€. Es gibt ausreichend Familiengeräte, die aber nur z.B. im Wohnzimmer genutzt werden können.

Auf diese Art hast Du Dein Kind besser im Auge und es kann nicht für Stunden in seinem Zimmer verschwinden.

Je näher Dein Kind an die Pubertät kommt, desto schwieriger wird sich das durchsetzen lassen, aber wenn Du das die ersten 10 Lebensjahre Deines Kindes schaffst, dann ist das schon SUPER!

Gemeinsam durch den Alltag

In der Regel machen wir Eltern alles allein - weil es schneller und genauer geht, denken wir oft gar nicht daran, unsere Kinder miteinzubeziehen. Wer daheim den Haushalt schmeisst weiss aber, dass es da

  1. immer was zu tun gibt, und

  2. wenn man mit allen Aufgaben allein ist, ist es sowohl frustrierend als auch langweilig.

Aber Du kennst das wahrscheinlich schon: ā€œgeteiltes Leid, halbes Leidā€. Warum eigentlich sollten unsere Kinder nicht am Haushaltsalltag teilnehmen? šŸ¤·šŸ»ā€ā™€ļø

Vielleicht könnt Ihr zusammen das Essen zubereiten, die Spülmaschine ausräumen, staubsaugen usw.

Manche Eltern haben demgegenüber Bedenken, dass sie ihre Kinder zuā€¦ unbezahlten Haushaltshilfen machen. Das sehe ich nicht so.

  • Erstens liege ich nicht auf dem Sofa, während mein Kind arbeitet.

  • Zweitens lernt mein Kind dabei etwas Nützlicheres als in der gleichen Zeit auf YouTube.

  • Drittens verbringen wir Zeit zusammen - und das ist unbezahlbar.

Mich erinnert das an meinen Sohn, als er einmal zu meinem Mann sagte, dass er sich freut, wenn die Schule bald wieder beginnt, weil es zu Hause in den Sommerferien so langweilig war. Mein Mann ist auf einem Bauernhof aufgewachsen - ihm war in den Ferien nie langweilig gewesen, denn es gab immer etwas zu tun.

Mein Sohn meinte daraufhin: ā€œAllein hätte ich keine Lust gehabt, auf dem Feld zu arbeiten. Mit Dir zusammen hätte ich es aber gern gemacht!ā€

Auch wenn Dein Kind das nicht so artikulieren kann, darfst Du sicher sein, dass es gern Zeit mit Dir zusammen auch bei Hausarbeiten verbringt.

Findet ein Hobby

Seitdem meine Kinder ihre Leidenschaft für die Leichtathletik entdeckt haben, bringt sie das jeden Tag 3 Stunden vom Bildschirm weg.

Ich finde ausserdem schön, dass sie andere tolle Kinder kennenlernen, die genausoviel Interesse und Antrieb für den Sport haben.

Vom Nutzen für ihre Gesundheit und ihr späteres Leben will ich gar nicht erst anfangen zu reden.

Bis wir bei der Leichtathletik gelandet sind, war es aber ein weiter Weg. Wir haben Fussball, Basketball, Ballett, Schwimmen, Radfahren und Tischtennis ausprobiert.

Das alles war verbunden mit finanziellem, zeitlichem und organisatorischem Aufwand. Mal aber fluchte der Trainer zu viel, mal war die Lehrerin nicht so nett, mal war das Wasser zu kalt usw.

Schau Dir Dein Kind genau an. Was könnte ihm liegen und auch gefallen? Welche Vereine gibt es bei Euch im Umkreis, welche Clubs bietet die Schule an? Es muss gar nicht mal Sport sein. Manchmal finden Kinder Freude an gemeinnütziger Arbeit (z.B. mit Dir zusammen) oder an geistigen Aktivitäten wie Schach.

Am Ende landet Ihr vielleicht sogar beim Sport Stacking, Wasserball oder Darts - wer weiss?

Sei das Vorbild

Das hast Du natürlich schon oft gehört und es stimmt - kein Wasser predigen und selbst Wein trinken. Das versteht sich eigentlich von selbst und das meine ich aber nicht NUR.

Kinder werden teilweise am Bildschirm geparkt, damit man seine Ruhe für was auch immer hat. Wenn Du sie also vom Bildschirm wegbringen wollen, dann braucht es zuallererst DEINEN Willen, DEINE Vorausplanung und DEINE Zeit.

Das Du es ernst damit meinst, zeigst Du ja bereits, indem Du diesen Artikel liest!

So also NICHT!!

Vorbild sein heisst also nicht nur, nicht ständig am Handy oder am Computer zu sitzen.

Es heisst, sozial zu sein, Deine Mitmenschen in Gespräche zu verwickeln, gemeinsam Dinge zu tun. All das erlebt Dein Kind tagtäglich.

Genauso braucht es Kraft, Zeit und Ausdauer, Dein Kind in Deinen Alltag einzubinden, Beschäftigungen zu suchen, sie dann dahinzufahren, wieder abzuholen, Regeln aufzustellen, zu diskutieren und auch immer wieder als ā€œdie Böseā€ dazustehen.

Alternativen finden

Stelle für Dich eine Liste von alternativen Tätigkeiten zusammen, die ihr als Familie unternehmen könnt, anstatt vor dem Bildschirm zu hocken.

Immer wenn Du siehst, dass sich Dein Kind wieder langweilt und schon länger vorm Bildschirm sitzt, kannst Du einen Blick auf die Liste werfen und schauen, was für die Situation am besten passt.

Haben alle Zeit, ein Brettspiel zu spielen oder könnte man zu zweit spazierengehen? Vielleicht könnte man auch einen Freund anrufen? (Letzteres ist eine sehr erfolgsversprechende Lösung!)

Freundschaften fördern

Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich Kinder mit ihren Freunden am Besten amüsieren, nicht mit ihren Eltern.

Die tollsten Ferien waren immer die, die man spielend mit Freunden verbringen konnte, also wenn wir zusammen mit einer befreundeten Familie weggefahren sind.

Irgendwie habe ich immer Augen und Ohren offen in der Schule, im Verein, in der Nachbarschaft, welche neuen Kinder zugezogen sind, welche meine Kinder sympathisch finden, mit welchen sie sich treffen möchten.

Das hindert sie natürlich nicht daran, dass sie daheim zu zweit auf dem Sofa am Tablet sitzen, aber besonders bei kleinen Kindern lassen sich da leicht Alternativen finden.

Kinderzimmer aufräumen

Irgendwie fühle ich mich im Supermarkt immer überfordert, wenn ich vor dem Regal stehe und zwischen 20 verschiedenen Joghurts auswählen soll. Mit nur 2 Sorten wäre es einfacher.

Ähnlich geht es Deinem Kind, wenn das ganze Zimmer mit Spielsachen vollgepackt ist.

Aus purer Überforderung fängt es dann vielleicht an, auf dem Tablet herumzudaddeln.

Ich selbst habe Marie Kondo für mich entdeckt und mein Haus komplett entrümpelt. Da fällt es leicht, gemeinsam mit dem Kind sein Kinderzimmer aufzuräumen. Viele Dinge kommen weg, andere bekommen ihren Platz im Regal oder im Schrank.

Aus den Augen, aus dem Sinn! Manche Spielzeuge werden einfach vergessen und sind total spannend, wenn Du sie beim nächsten Langeweileanfall aus dem Ärmel schüttelst.

Bildschirme immer wegräumen

Manchmal sogarā€¦ FÜR IMMER!! šŸ˜®

Als unsere Kinder noch klein waren, hatten sie es eines Tages geschafft, beim Versteckspiel das Antennenkabel unseres Fernsehers herauszureissen und die Buchse kaputtzumachen. Aus Platzgründen primär haben wir nicht gleich einen neuen gekauft (damals waren Flatscreen-Geräte noch nicht Standard). Aus der vorübergehenden Situation (ach lass es doch, wir stellen lieber einen Sessel in diese Ecke) wurde eine permanente Situation ohne Fernseher (ach lass es doch, eigentlich fehlt uns das Ding doch gar nicht und streiten müssen wir auch nicht darüber).

Jetzt spielt der Fernseher für heutige Kinder natürlich nicht mehr so eine grosse Rolle, wie er für uns vielleicht gespielt hat.

Ich bin auch nicht der Meinung, dass Ihr alle Handys & Co. aus dem Fenster werfen solltet.

Allerdings müssen die Geräte auch nicht überall rumliegen, denn Gelegenheit macht nicht nur Diebe, sondern auch Bildschirmgucker. šŸ¤Ø Wenn das Tablet nicht immer daliegt, dann fällt Deinem Kind garantiert ab und an etwas anderes ein, womit es sich beschäftigen kann.

Mitmachen und verstehen

Die sozialen Medien kann man nicht nur konsumieren und zur Unterhaltung nutzen. Man kann auch etwas kreieren und lernen. Wie kannst Du aber wissen, was Dein Kind macht?

Zu hundert Prozent wirst Du sicher nicht kontrollieren können, womit es sich beschäftigt. Du kannst Dich aber immer mal wieder dazu setzen und mit ihm zusammen etwas schauen.

Ich gebe zu, dass sich mir manchmal die Haare sträuben, angesichts der hirnlosen Videos und für uns oft unverständlichen Memes und Vines, die ich dann auch TikTok, Instagram oder YouTube zu sehen bekomme. šŸ˜–

Das kannst Du dann auch thematisieren, damit Deine Kinder lernen, dass man am Computer nicht nur daddeln, nicht nur Zeit vorbeigehen lassen und sich berieseln lassen kann.

Du kannst auch mal mit gamen, auch wenn Du sicher haushoch verlierst. Auf diese Art bekommst Du aber einen besseren Eindruck davon, was Deine Kinder da stundenlang treiben.

Bildschirmzeit radikal begrenzen?

Auch das geht, und dazu gibt es viele, viele Apps wie z.B. Kaspersky SafeKids (Gratisversion bereits sehr hilfreich) und YouTube Kids (gratis) mittels Apps wie FamiSafe (sehr gut aber kostenpflichtig, kostet etwa 60ā‚¬ pro Jahr).

Ich finde allerdings, dass wenn wir es schaffen, unseren Alltag mit genug sinnvolleren Aktivitäten zu füllen, ist so etwas nicht unbedingt notwendig. Je nach Lebenssituation können diese ā€œElternā€-Apps aber tolle Dienste leisten.

Das warā€™s erstmal von mir, liebste Grüsse bis zum nächsten Mal!

Dr. Susanna šŸŒ·